Römisches Blut für Andraste
Die Sonne stand hoch am Himmel, doch ihr Licht vermochte nicht, den Nebel zu vertreiben, der über dem Moor lag. Anwen schritt voran, das feuchte Erdreich gab unter ihren Füßen nach, doch sie kannte den Weg. Ihr blaues Gewand schmiegte sich an ihren Körper, der Umhang bewegte sich sacht im Wind. Asche bedeckte ihr Gesicht – ein Zeichen für die Göttin, für das, was kommen musste.
Vor Monaten hatte sie hier bereits ein Leben dargebracht. Declan, der Sohn des Königs. Ein Götterbote war er gewesen. Sein Blut hatte eine Botschaft getragen, sein Tod war ein Ruf gewesen, ein Zeichen an Andraste, dass ihr Volk bereit war für den Kampf. Doch dieser Römer war nichts als ein Geschenk. Kein Bote, kein Zeichen, nur eine Gabe, um die Göttin bei Laune zu halten.
Sie hielt inne und wandte sich um. Der Gefangene, seiner Kleidung beraubt, wirkte wie ein gebrochener Schatten seiner selbst. Mit auf den Rücken gefesselten Händen stolperte er vorwärts, angetrieben von Madocs Schwertspitze. Doch Angst allein machte ein Opfer nicht würdig. Ihr kühler, abschätzender Blick blieb regungslos und ohne Mitleid auf ihm haften.
"Sieh dich um, Römer," sprach sie in seiner Sprache. "Hier endet dein Weg. Dein Fleisch wird in den Nebel sinken, dein Blut Andraste dargebracht."
Langsam trat sie an den Rand des Wassers. Sie spürte, wie die Feuchtigkeit den Saum ihres Gewandes erreichte. Ihre Hand legte sich auf den Griff des Opfermessers. Es war Zeit.
Der Tribun hatte keinen Trank erhalten. Keine Kräuter, die seinen Geist betäubten, kein Trunk, der ihn sanft in den Tod gleiten ließ. Feinde verdienten kein Erbarmen. Sie sollten es fühlen, den Übergang, den langen Weg in die andere Welt.
Anwen zog das Messer, ließ es in der Sonne aufblitzen, sodass der Römer es sehen konnte. Ihre Finger schlossen sich in sein Haar, rissen seinen Kopf nach hinten. Doch sie schnitt ihm nicht die Kehle durch. Nicht so schnell.
Stattdessen setzte sie die Klinge an seine Haut, ließ sie über sein Schlüsselbein gleiten, leicht, kaum mehr als eine Berührung – bis sie drückte. Die erste Wunde öffnete sich, ein schmaler Streifen Blut quoll hervor. Ein Anfang.
"Dein Leben gehört nicht mehr dir", flüsterte sie ihm zu. "Es gehört ihr."
Ihre Klinge glitt weiter über seine Haut, zerriss sie an den empfindlichsten Stellen, so dass das Blut in feinen Strömen auf die Erde tropfte. Doch sie war geduldig. Ihre Augen blickten in den geisterhaften Nebel, als sie die Worte der Beschwörung murmelte.
"Andraste, Herrin des Krieges, Mutter des Feuers und der Erde, nimm dieses Opfer an. Nimm das Leben dieses Mannes, damit du unsere Sache weiterführst. Der Römer wird nicht ruhen, bis er seine Schuld an dir bezahlt hat. Möge sein Schmerz deinen Zorn entfachen, und möge sein Tod ein Fanal sein für das, was noch kommen muss."
Die Worte hallten über das Moor, der Nebel schien dichter zu werden, als ob er die Opferung selbst verlangte. Anwen stieß das Messer ein weiteres Mal in die Haut des Gefangenen, tiefer, so das das Blut in dunklen Strömen über seinen Körper lief. Doch es war nicht genug. Der Schmerz allein würde ihn nicht zur Göttin führen. Er sollte wissen, was es bedeutete, in die andere Welt überzutreten.
"Du wirst fühlen, was der Tod wirklich bedeutet!", flüsterte Anwen, während sie die Klinge nun quer über seinen Brustkorb zog. Die Wunde öffnete sich weit, und der Römer stöhnte, sein Körper verkrampfte sich vor Schmerzen. Aber Anwen wartete. Sie betrachtete ihn ruhig, als er versuchte, sich gegen die Qual zu wehren, als seine Zähne aufeinanderklemmt waren, und sein Blick verzweifelt zu ihr emporstieg.
"Sieh in das Gesicht deines Schicksals, Römer", sagte sie, und ihre Stimme war nun scharf und feierlich. "Niemand kann der Göttin entkommen, auch nicht du."
Mit dieser letzten, klaren Ansage, als ob sie das Ende seines Leidens vorwegnahm, setzte Anwen den finalen Schnitt an. Sie schnitt ihm tief in die Kehle, und der Römer stieß einen letzten, keuchenden Laut aus, bevor seine Augen sich weiteten und dann starr wurden. Das Blut spritzte in einem einzigen, wilden Strahl hervor, doch die Opferung war noch nicht vollendet.
Anwen schloss ihre Augen und ließ noch einmal ihre Stimme erklingen. "Andraste, mächtige Herrin, erfreue dich an seinem Leib. Koste sein Blut. Schenke uns die Kraft, den Sieg zu erringen."
Der Körper des Gefangenen sackte leblos zu Boden. Der Tod war nun in ihm, doch er wurde nicht gleich zu den Göttern gesandt. Sie brauchte den letzten Schritt. Sie nahm den blutüberströmten Körper des Mannes und wandte ihn dem Moor zu. Langsam, fast mit Bedacht, ließ sie ihn in den sumpfigen Boden sinken, wo der Nebel den Rest des Leichnams verschluckte, wo die Erde sich über ihn schloss.
Als der Körper völlig im Moor verschwand, atmete Anwen tief ein, die kühle Feuchtigkeit der Luft fühlte sich wie ein Geschenk an. Sie wusste, dass Andraste nun zufrieden war. Der Ruf war gehört, und das Zeichen gesetzt. Der Weg des Krieges würde weitergehen und nicht enden, bis das römische Geschwür aus Albions Leib herausgeschnitten war u. In dieser Stille, im Nebel, fühlte sie sich ein Stück näher an ihrer Göttin.