RE: Auf nach Londinium! - Narcissus und Owains Reise
Mit jedem Tag, den ich in Londinium verbrachte, wuchs meine Frustration.
Ich wollte mich nicht nur allein auf Narcissus’ Kontakte verlassen, sondern suchte selbst – in Tavernen, an den Häfen, in den Gassen, in denen sich die weniger ehrenhaften Gestalten der Stadt herumtrieben. Ich sprach mit Wirten, mit Händlerinnen, mit Frauen, die man für den richtigen Preis für eine Nacht Gesellschaft leisten konnte. Aber niemand hatte von Aglaia gehört. Oder wollte es mir nicht sagen.
Ich war mir nicht sicher, was mich mehr zermürbte – die ergebnislose Suche oder die wachsende Erkenntnis, dass ich mich vielleicht in etwas verbissen hatte, das von Anfang an hoffnungslos gewesen war.
Narcissus machte sich kaum noch die Mühe, mich von der Sinnlosigkeit dieser Jagd zu überzeugen. Ich wusste, dass er es für Zeitverschwendung hielt, doch er ließ mich gewähren. Und ich wusste es langsam selbst.
Londinium war riesig, ein Moloch aus Straßen, in denen sich Menschen verloren. Vielleicht wollte sie einfach nicht gefunden werden. Vielleicht hatte sie mich bereits vergessen.
Doch ich wusste längst selbst, dass sie mich vergessen hatte. Sie war nicht die Frau, die an der Vergangenheit festhielt – sie hatte sich entschieden, ohne mich weiterzuleben. Und ich hatte dasselbe getan. Ich liebte sie nicht mehr, nicht auf die Weise, wie ich es einst getan hatte. Zumindest redete ich mir das immer wieder ein.
Meine Liebe gehörte jetzt einer anderen Frau. Einer Frau, die mich gewählt hatte, so wie ich sie gewählt hatte. Deirdre war mein Zuhause, meine Zukunft.
Ich war nicht nach Londinium gekommen, um eine alte Liebe neu zu entfachen. Aglaia sollte wissen, dass ich wieder geheiratet hatte und dass ich mit Deirdre glücklich war. Dass einzige, was ich von ihr wollte, war meine Tochter wieder zu sehen. Ich kannte nicht einmal ihren Namen. Ich wusste nichts über sie, wie sie nun aussah, welche Farbe ihr Haar hatte und die Farbe ihrer Augen. Meine Erinnerung an das kleine Bündel, das ich kurz nach seiner Geburt gesehen hatte, verblasste langsam. Mir blieb nur die brennende Gewissheit, dass sie irgendwo in dieser Stadt lebte.
Vielleicht war es zu spät. Vielleicht hatte sie längst einen anderen Vater, einen, der an meiner Stelle getreten war. Doch das änderte nichts daran, dass ich sie finden musste.
Ich konnte nicht einfach gehen, ohne ihr einmal in die Augen gesehen zu haben.
Nun saß ich in einer dunklen Taverne, den Becher zwischen den Händen, und starrte auf das schmutzige Holz der Theke. Ich hatte jedes denkbare Viertel Londiniums durchkämmt. Ich hatte mit jenen gesprochen, die es wissen mussten. Es war sinnlos.
Ich würde nach Cheddar zurückkehren. Zurück zu meiner Frau. Dorthin, wo ich hingehörte.
Ich leerte meinen Becher mit Bier und erhob mich. Danach wollte ich zur Herberge zurückkehren, und Narcissus erklären, dass ich am nächsten Tag wieder nach Hause reiten würde.
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